DDB: „Es geht nur um Kostenersparnis“Ein neuer Schnellbericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sorgt für Fassungslosigkeit in der Diabeteswelt: Eine normnahe Blutzuckereinstellung bei Typ-2-Diabetikern soll nichts bringen, was die Verhinderung oder Verzögerung diabetischer Folgeerkrankungen angeht. „Wir können solche Aussagen nicht dulden“, sagt der Bundesvorsitzende des Deutschen Diabetiker Bundes (DDB) Dieter Möhler.
Ob Gesamtsterblichkeit oder Folgekomplikationen des Diabetes wie Herzinfarkt oder Schlaganfall, Niereninsuffizienz, Amputation oder Erblindung: Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes sei „für keinen der hier untersuchten patientenrelevanten Endpunkte ein Nutzen bzw. Schaden einer ‚normnahen‘ Blutzuckersenkung belegt“, schreibt das IQWiGin seinem neuen Schnellbericht (Rapid Report), der den Nutzen einer langfristigen normnahen Blutzuckereinstellung bei Typ-2-Diabetikern untersucht hat.
Das Ergebnis stellt den Grundsatz der Diabetestherapie auf den Kopf: Normnahe Blutzuckerwerte bei Diabetikern anzustreben, um die dramatischen Folgeerkrankungen an Herz und Gefäßen wirkungsvoll zu verhindern.
„Patient wird einfach vergessen“
Der DDB-Bundesvorsitzende Dieter Möhler befürchtet drastische Auswirkungen des IQWiG-Reports auf die künftige Therapie des Typ-2-Diabetes: „Es geht nur um Kostenersparnis“, sagt er. Der Schnellbericht bilde „eine Schranke für die Einführung neuer Medikamente und wird die Diabetesversorgung weiter einschränken“. Der Patient werde dabei einfach vergessen. „Wir können solche Aussagen nicht dulden!“ Er könne Ärzte, Patienten und vor allem Kassen nur davor warnen, den Überlegungen des IQWiG zu folgen. „Es gibt wissenschaftliche Leitlinien, die sich am neuesten Stand der Medizin orientieren. Und daran orientieren wir uns auch.“
Darüber hinaus sei sich die diabetologische Fachwelt darin einig, „dass es richtig ist, Typ-2-Diabetiker insbesondere in der ersten Phase der Erkrankung mit einer so niedrig wie möglichen Blutzuckereinstellung zu versorgen“, sagt Prof. Dr. Hermann von Lilienfeld-Toal, stellvertretender DDB-Bundesvorsitzender. „Hypoglykämien sind natürlich zu vermeiden, das ist Grundlage jeder Diabetestherapie.“ Auch in den späteren Phasen der Erkrankung sollten die Patienten eine möglichst gute Blutzuckereinstellung anstreben, um das Risiko für Folgekomplikationen zu verringern.
„Diabetiker kennt man im IQWiG nur auf dem Papier, individuelle Unterschiede oder Therapieziele gibt es nicht. Weitere Parameter außer der Blutzuckersenkung werden nicht berücksichtigt und somit wird verkannt, dass es sich um ein komplexes Zusammenspiel von Stoffwechselabläufen handelt“, kritisiert die Berliner Rechtsanwältin Sabine Westermann vom DDB-Rechtsberatungsnetz. „Erneut wird der Eindruck erweckt, dass das Ergebnis des Rapid Reports bereits im Vorfeld feststand und anschließend eine Auswahl von Studien erfolgte, die dieses Ergebnis belegen können“, so Westermann. Die eingeschlossenen Untersuchungen bewertet sie als fehlerhaft. Es werde erneut ein „möglichst hoher Grad an Evidenz vorgeschoben“, also an wissenschaftlicher Aussagefähigkeit, „um andere wesentliche Studien – natürlich mit widersprechenden Ergebnissen – nicht berücksichtigen zu müssen“, erklärt sie.
IQWiG-Schnellberichte werden im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) oder des Bundesgesundheitsministeriumserstellt; hier war der G-BA der Auftraggeber. Es gibt jedoch kein Stellungnahmeverfahren wie bei den großen Nutzenbewertungen zu Arzneimitteln: Ziel ist die zeitnahe Information, die nicht auf Richtlinienentscheidungen des G-BA ausgerichtet sind. Strebt der Bundesausschuss hier eine reguläre Nutzenbewertung an, muss er sie nochmals extra beauftragen.
Beweislast liege beim Patienten
Rechtsanwalt Dieter Möhler fordert an dieser Stelle erneut eine „demokratisch legitimierte Struktur des G-BA, mit der überprüft werden kann, ob die jeweilige Studienauswahl ausreichend ist“. Er kritisierte zudem, „dass die finanziellen Interessen der Gesetzlichen Krankenversicherung einerseits und der ‚Ärztefunktionäre’ andererseits die Solidargemeinschaft gefährden“. Nur um zu sparen, nehme man schwerwiegende gesundheitliche Nachteile in Kauf und bürde dem Patienten die Beweislast auf. „Jahrelang als wirksam anerkannte Medikationen werden vom Verwaltungshelfer IQWiG in Zweifel gezogen.“ Solche Beurteilungen dürften dem G-BA nicht ausreichen, die Diabetesversorgung weiter einzuschränken, so Möhler.
Pressemitteilung: Deutscher Diabetiker Bund (DDB)
http://www.diabetikerbund.de
