Was bringen Haferkuren bei Diabetes?Früher waren Haferkuren gang und gäbe in der Diabetes-Therapie. Inzwischen entdecken Ärzte sie wieder. Doch was bringen sie wirklich?
Gedroschen dient Hafer als Pferdefutter, geplättet steckt er in Müslis, zu Brei verkocht besänftigt er gereizte Mägen. Jetzt entdecken Diabetologen eine weitere Seite des Getreides: Haferkost soll helfen, die Insulinempfindlichkeit übergewichtiger Menschen mit Typ-2-Diabetes zu verbessern. Diese leiden häufig an einer Insulinresistenz: Ihre Zellen sprechen nicht mehr richtig auf das Hormon an, sodass es den Zucker nicht mehr aus dem Blut in die Zellen schleusen kann. Die Folge: Der Blutzuckerspiegel steigt. Um ihre Zuckerwerte im Zaum zu halten, müssen manche Typ-2-Diabetiker regelmäßig Insulin spritzen, teilweise in steigenden Mengen, einige mehr als 100 Einheiten am Tag.
Regelmäßige Haferkuren könnten nach Ansicht mancher Ärzte dabei helfen, diesen Kreislauf zu durchbrechen – als preisgünstige „Medizin“, die zudem beim Abnehmen hilft.
Renaissance der Haferkur
Hafer als Medizin: Neu ist das nicht. Vor mehr als 100 Jahren behandelten Ärzte Zuckerkranke mit Haferkuren, wenn ein Zuckerkoma drohte, und konnten den schicksalhaften Verlauf der Krankheit damit zumindest vorübergehend bessern. Mit der Entdeckung des Insulins 1921 verloren Haferkuren an Bedeutung.
Ganz in Vergessenheit gerieten sie aber nicht. „Noch in den 80er-Jahren wurden Patienten mit Typ-2-Diabetes häufig erst einmal auf Hafer gesetzt, wenn sie ins Krankenhaus kamen“, sagt Dr. Alexander Lammert, Internist und Stoffwechselspezialist an der Universitätsklinik Mannheim. Lammert beschäftigt sich auch wissenschaftlich mit Hafer. So ließ er 14 Typ-2-Diabetiker zwei Tage lang nur gekochten Haferbrei essen. Diese konnten ihre Insulindosis daraufhin im Durchschnitt deutlich senken. Der Erfolg dieser Kurzzeit-Diät auf Blutzuckerwerte und Insulinbedarf hielt einige Wochen an.
Weniger Insulin und Tabletten nach einer Haferkur
Ähnliche Erfahrungen machte der Diabetologe Dr. Ulrich Tinnefeld aus Bottrop. Anfangs skeptisch, ist er inzwischen „auf den Hafer gekommen“. Tinnefeld ermunterte 70 seiner Patienten mit Typ-2-Diabetes, die wegen schlechter Zuckerwerte ins Krankenhaus eingewiesen werden sollten, zu einer Haferkur. 40 von ihnen brauchten danach deutlich weniger Insulin, 21 nur noch halb so viele Diabetes-Tabletten. Fast alle konnten den Termin im Krankenhaus erst einmal absagen, weil sich ihre Blutzuckerwerte deutlich gebessert hatten. „Ein voller Erfolg“, sagt Tinnefeld.
Aber was wirkt da eigentlich? Die reduzierte Kost – oder der Hafer? „Vermutlich beides“, sagt der Internist Alexander Lammert. Weil man bei einer Haferkur nur rund 1000 Kilokalorien (oder weniger) am Tag isst, bessern sich die Blutzuckerwerte, und der Insulinbedarf sinkt. Allein daran könne es aber nicht liegen. Derzeit vergleicht Lammert daher in einer neuen Studie zwei Diätformen mit gleich niedriger Kalorienzahl: Eine Gruppe von Teilnehmern nimmt ausschließlich Hafermahlzeiten zu sich, die andere Gruppe eine kohlenhydratbetonte Kost. „Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die ‚Hafergruppe‘ besser abschneidet“, sagt Lammert.
Hafer enthält viele Ballaststoffe
Eine mögliche Erklärung für den „Hafer-Effekt“ könnten bestimmte lösliche Ballaststoffe sein, die in dem Getreide stecken – sogenannte Betaglucane. Lösliche Ballaststoffe können die Aufnahme von Kohlenhydraten aus dem Darm ins Blut verzögern. Ein schneller Zuckeranstieg wie nach Obst oder Weißbrot bleibt nach einer Hafermahlzeit daher aus. „Wenn weniger Glukose ins Blut gelangt, wird die Bauchspeicheldrüse geschont und kann sich erholen“, vermutet Tinnefeld.
Wissenschaftliche Beweise für die Wirksamkeit von Haferkuren gibt es nicht. Dennoch stoßen sie bei immer mehr Diabetologen auf Interesse, sagt Alexander Lammert. Auch sein Kollege Ulrich Tinnefeld ist von den Vorteilen regelmäßiger Haferkuren in Verbindung mit einzelnen Hafertagen überzeugt: „Eine Haferkur macht satt, ist einfach, und die Patienten können sie in Absprache mit dem Arzt zu Hause machen.“
Kohlenhydrattage: Viel Vollkorn und Gemüse
Die meisten seiner Haferkur-Patienten erlebten, selbstständig etwas für bessere Blutzuckerwerte tun zu können. Kritik gab es aber auch: Dreimal am Tag nur in Wasser gekochten Hafer zu essen, empfanden manche als „kulinarische Zumutung“.
Aber wie streng muss man sich an das Gebot „Alles Hafer!“ halten? Dr. Heike Raab vom Sana-Klinikum Offenbach weicht deutlich davon ab. Die Ernährungswissenschaftlerin baut Gemüse und Obst in die Rezepte ein. Zudem spielt der Hafer darin nicht mehr die Hauptrolle, sondern kann durch Vollkornbrot, Reis oder andere Getreidesorten ersetzt werden. Das Ganze heißt dann nicht mehr „Haferkur“, sondern „Kohlenhydrattage“. Auf Eiweiß und Fett, etwa Öl im Salat, sollte man aber verzichten, wenn die Diät zum Ziel hat, den hohen Insulinbedarf zu senken.
Ob sich Hafertage irgendwann als Ernährungstherapie gegen Insulinresistenz bei Typ-2-Diabetes etablieren oder als eine von vielen Diät-Moden wieder verschwinden, hängt von den Ergebnissen weiterer wissenschaftlicher Studien ab. Bis dahin sind sich viele Enährungsexperten einig: Einen Versuch ist es allemal wert!
Haferkur bei Typ-2-Diabetes: So geht´s
Eine Haferkur ist eine Kurzzeit-Diät mit Hafer als Hauptbestandteil.
•Dauer: 2 bis 3 Tage, dann regelmäßig einzelne Hafertage zur Auffrischung.
•Erlaubt sind drei Mahlzeiten am Tag. Haferflocken werden mit Wasser oder Brühe zu Brei gekocht. Beeren, Mandeln, Kräuter, Gewürze, Süßstoff und Zitrone sind in geringen Mengen erlaubt.
•Verzichten sollte man auf Eiweiß und Fett (also auch kein Joghurt oder Milch), Zucker, gesüßte oder alkoholische Getränke.
•Geeignet für: Typ-2-Diabetiker mit Insulinresistenz. Bei Insulinmangel (Typ-1-Diabetes) ist die Haferkur nicht sinnvoll.
•Wichtig: Blutzucker engmaschig kontrollieren; Insulin- oder Tablettendosis unbedingt vorab mit dem Arzt besprechen.
•Ziel: Insulinbedarf senken, Insulinresistenz durchbrechen, Regulierung erhöhter Blutzuckerwerte; Einstieg in eine Ernährungsumstellung.
Quelle: Diabetes Ratgeber
http://www.diabetes-ratgeber.net